
Herr Professor Loewenstein, sind Sie eigentlich mehr Ökonom oder mehr Psychologe?
Psychologen sehen mich eher als Ökonomen, und ich bin ja auch promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Sagen wir mal so: Ich nutze ökonomische Methoden, um die menschliche Psyche zu erklären.
Noch vor zehn Jahren wurden Verhaltensökonomen vom „Mainstream“ eher skeptisch beäugt…
…aber heute sind sie in allen namhaften wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vertreten. Spätestens der Wirtschaftsnobelpreis für Richard Thaler hat gezeigt, dass unser Forschungszweig inzwischen weithin anerkannt ist.
Sie waren ein früher Verfechter des „Nudging“, aber in einem Gastbeitrag für die New York Times halten Sie den verhaltensökonomischen Politikansatz offenbar für überbewertet.
Manche „Nudges“ sind äußerst effektiv, keine Frage. Man sollte sie aber immer nur als Ergänzung, nicht als Ersatz für herkömmliche Wirtschaftspolitik sehen. Problematisch finde ich, dass sich Politiker von „Nudges“ oft fälschlicherweise schnelle Lösungen für komplexe wirtschaftliche Probleme versprechen.
Zum Beispiel?
Der Versuch, die Fettleibigkeitsepidemie in den USA durch die Kalorienkennzeichnung auf Speisekarten zu bekämpfen, verpufft genauso wirkungslos wie die Idee der britischen Regierung, Haushalte zum Energiesparen zu bewegen, indem man ihnen die Stromrechnung der Nachbarn zum Vergleich präsentiert. Der klassische ökonomische Ansatz bestünde darin, ungesundes Fastfood und umweltschädliche Energie zu verteuern, um den Konsum zu bremsen. Das wäre deutlich effektiver, aber eben auch politisch schwerer durchsetzbar.
Am briq haben Sie zur „New New Economics of Information“ vorgetragen. Was ist darunter zu verstehen?
Anfang der 1960er Jahre hatte George Stigler die „Economics of Information“ begründet. Seine Annahme: Der Mensch verlangt nach Informationen einzig und allein, um seine Entscheidungsfindung zu verbessern. Die von Akerlof, Spence und Stiglitz in den 1970ern initiierte „New Economics of Information“ untersuchte dann die Folgen von Informationsasymmetrien zwischen wirtschaftlichen Akteuren. Beispielsweise weiß der Autoverkäufer mehr über die Qualität des Autos als der potenzielle Käufer…
…das berühmte „Lemons“-Problem…
…was den Markt kaputtmachen kann, wie Akerlof am Beispiel von Gebrauchtwagen gezeigt hat. Aber auch dieser zweite Forschungsstrang behielt Stiglers ursprüngliche Annahme bei, nämlich dass wir Informationen nur in dem Maße wertschätzen, wie sie unsere Entscheidungen verbessern. Von dieser Annahme sollte man sich meines Erachtens verabschieden, weil sie offenkundig unrealistisch ist. Menschen verlangen aus allen möglichen Gründen nach Informationen – und sei es aus reiner Neugier.
Mitunter erhalten wir aber auch Informationen, auf die wir gerne verzichtet hätten…
Ja, und daher neigen wir in bestimmten Situationen dazu, hilfreichen Informationen aus dem Weg zu gehen, weil wir die Implikationen fürchten. Das gilt zum Beispiel für medizinische Diagnosen. Kein Mensch will hören, dass er bald sterben wird. Deswegen verzichten viele Todkranke auf eine Palliativtherapie, obwohl sie ihnen einiges an Leid ersparen könnte. Wir haben auch herausgefunden, dass sich Eltern autistischer Kinder lange gegen eine entsprechende Diagnose sperren, während Freunde, Verwandte und Lehrer die Auffälligkeit längst erkannt haben.
Wie verhält es sich mit der Weitergabe von Informationen?
Das ist ein Thema, das mich ganz besonders interessiert. Wir teilen unsere Informationen mit anderen aus den verschiedensten Motiven. Dazu gehört auch Prahlerei, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Aber oft geht es auch einfach nur darum, sich verstanden zu fühlen. Ich arbeite momentan daran, die unterschiedlichen Motivationsformen mathematisch zu modellieren. Manchmal wollen wir Informationen auch lieber für uns behalten. In meiner Forschung zur Privatsphäre habe ich festgestellt, dass sich die Menschen kaum Gedanken über die tatsächlichen Kosten und Nutzen des Informationsaustauschs im jeweiligen Kontext machen.
Hat das Internet die Sache noch schlimmer gemacht?
Allerdings. Die Leute schreiben heute die intimsten Dinge per E-Mail, ohne sich bewusst zu machen, dass sie diese Informationen damit dauerhaft dokumentieren. Im persönlichen Gespräch sind wir meist viel zurückhaltender, obwohl das immer noch die sicherere, privatere Art der Kommunikation ist. Das Internet kennt viele Möglichkeiten, uns fehlzuleiten.
Generation Facebook…
Sie sagen es. Niemand hat im wahren Leben 2.000 Freunde, aber mit den sogenannten „Freunden“ auf Facebook teilt man freimütig alle möglichen Informationen. Als ich eine Zeit lang selbst auf Facebook aktiv war, hatte ich auch ein paar hundert „Freunde“. Aber auf eine von mir geteilte Umfrage für ein Schulprojekt meiner Tochter hat kein einziger reagiert.
Auch wenn Selbstbeweihräucherung nach hinten losgehen kann, wie eine Ihrer Studien zeigt, erlauben Sie mir trotzdem die Frage nach Ihrem größten wissenschaftlichen Erfolg?
Zu meinen Lieblingspapieren zählt „The Red and the Black“. Darin geht es um „Mental Acccounting“, also die Frage, wie die mentale Einstellung zu unterschiedlichen Finanztransaktionen unsere Kaufgewohnheiten beeinflusst. Am bekanntesten ist aber wohl meine Forschung zur „Hot-Cold Empathy Gap“. Ökonomen sprechen auch von „Projection Bias“. Gemeint ist damit, dass wir in einem bestimmten Gemüts- oder Affektzustand keine Vorstellung davon haben, wie wir uns in einem anderen Zustand fühlen oder verhalten würden.
Das haben Sie unter anderem am Beispiel sexueller Erregung dokumentiert. Ist es nicht unter Ökonomen eher verpönt, über Sex zu schreiben?
Tatsächlich hat mich ein prominenter Kollege davor gewarnt, zum Thema Sex zu forschen. Er meinte, ich riskiere damit, in der Ökonomenwelt marginalisiert zu werden. Ich will aber doch hoffen, dass er falsch liegt. Sex ist ein wichtiger Lebensaspekt mit nicht zu unterschätzenden Auswirkungen auf unser seelisches und gewiss auch unser körperliches Wohlbefinden. Wenn man als Ökonom nicht mehr ernstgenommen würde, weil man dazu Forschung betreibt, wäre das tragisch.
Kommen wir zum Thema Ungleichheit. Im Spannungsfeld zwischen Privatsphäre und Transparenz wird in Deutschland gerade heiß diskutiert, ob Beschäftigte erfahren sollten, was ihre Kollegen verdienen. Glauben Sie, dass mehr Gehaltstransparenz die Ungleichheit verringern würde?
Im Gegenteil. Vermutlich würde die Ungleichheit eher zunehmen. Schließlich wollen alle Top-Manager zu den obersten 25% zählen. Da aber rein rechnerisch nur jeder vierte dazugehören kann, werden sie alles dransetzen, ihre Gehälter noch weiter in die Höhe zu schrauben. Ich will damit nicht sagen, dass Transparenz grundsätzlich schlecht ist, aber es gibt einige Kontexte, in denen sie sich tendenziell negativ auswirkt. Das gilt zum Beispiel auch für die Offenlegung von Interessenkonflikten.
Wie reagieren Menschen auf Ungleichheit?
Meine Forschung zu sozialen Präferenzen zeigt, dass das negative Gefühl, zu den Verlierern zu gehören, stärker ins Gewicht fällt als das positive Gefühl, bei den Gewinnern zu sein. Unterm Strich wirkt sich Ungleichheit deshalb äußerst negativ auf die Zufriedenheit aus. Außerdem verleitet Ungleichheit Menschen dazu, akzeptierte Regeln zu brechen, um ihre eigene Lage zu verbessern.
Was kann die verhaltensökonomische Forschung zur Ungleichheitsdebatte beitragen?
Ich halte Ungleichheit für die Wurzel vieler Übel, die derzeit die USA plagen – von Fettleibigkeit und Drogensucht bis hin zu mangelnder Bildung und niedrigen Sparquoten. Die Menschen sortieren Ungleichheit meist weit oben ein, wenn man ihnen eine Liste der größten gesellschaftlichen Herausforderungen gibt. Fragt man sie aber spontan, nennt kaum jemand Ungleichheit als drängendstes Problem. Ich glaube, die Verhaltensökonomik kann einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie das Bewusstsein für Ungleichheit schärft und über die realen Auswirkungen ungleichheitsrelevanter Politikmaßnahmen – wie zum Beispiel der Erbschaftssteuer – aufklärt.
Vielen Dank – für das Teilen dieser Informationen und die Befriedigung unserer Neugier!